The King’s Speech

Für all diejenigen, die das Status-Thema inzwischen für sich entdeckt haben, hier ein unterhaltsamer Status-Einblick in einen sehr schönen, bekannten Film:

Der britische Kinofilm „The King’s Speech“ eignet sich auf besondere Weise für eine umfassende Status-Analyse und veranschaulicht dabei einen sehr gelungenen pädagogischen Prozess. In seinen unablässigen Statuswechseln zwischen dem „Lehrer“ (Lionel Logue) und dessen „Schüler“ (König George VI.) verdeutlicht er in unterhaltsamer und zugleich sehr aufschlussreicher Weise, welche Konflikte pädagogische Prozesse in sich tragen und wie sie durch das Statusverhalten des Lehrenden in meisterlicher Weise gelöst werden können.

Dies mag auf den ersten Blick abstrus erscheinen: Handelt es sich hier doch um die wahre Geschichte des britischen Königs George VI. und einem unbedeutenden alten Schauspieler, der dem König dabei hilft, sein Stottern zu überwinden. Doch diese Geschichte ist der klassischen Lernsituation bei genauerem Hinsehen sehr nahe. Im folgenden spreche ich von „Lehrer“ und „Schüler“, da es mir um das klassische Setting geht: Der eine soll dem anderen etwas „beibringen“, bzw. eine Entwicklung anstoßen und befördern, die immer neue Erkenntnisse und emanzipatorische Prozesse in Gang setzt.

Zunächst in aller Kürze der Inhalt des Films:

Albert, Sohn des britischen Königs George V., leidet seit seiner Jugend an schwerem Stottern. Öffentliche Auftritte werden dadurch für ihn zur Qual. Erst mit Hilfe des exzentrischen Sprachtherapeuten Lionel Logue (der in Wahrheit ein erfolgloser Schauspieler ist), beginnt er, kleine Fortschritte zu machen. Doch nachdem Albert unter dem Namen George VI. durch den Rücktritt seines Bruders Edward unerwartet zu Englands neuem König gekrönt wird, werden öffentliche Auftritte und Radioansprachen endgültig unvermeidbar. Schon bald muss George VI. seinen wichtigsten Auftritt absolvieren: Vor dem Hintergrund des drohenden 2. Weltkrieges soll er per Radioansprache seinem Land Mut zusprechen. Nur durch das einfühlsame Geschick seines Sprachlehrers Lionel Logue, gelingt es dem britischen König sein Stottern und die damit verbundenen Ängste zu überwinden und seiner gesellschaftlichen Aufgabe als König von England gerecht zu werden.

Nun zu den Statusaspekten des Films, die für den Schulalltag so interessant sind.

Der König ist gezwungen, nach außen Hochstatus zu spielen.

Der Schüler ebenso, denn er muss sich tagtäglich in seiner sozialen peergroup behaupten. Zeigt der Schüler Schwäche, wird er von anderen als „Opfer“ gesehen und hat einen schweren Stand. Er muss ständig nach außen Hochstatus spielen, da er sonst befürchten muss, von seinen Mitschülern „geknechtet“ zu werden. Innerhalb der Hierarchie seiner Mitschüler kämpft er ununterbrochen um seinen sozialen Status.

Auch der König hat eine Schwäche: das Stottern. Sein Inneres entspricht nicht seiner äußeren Position. (In der 28. Szene des Films gesteht George VI. seiner Frau, dass er sich seiner Aufgabe als König nicht gewachsen fühlt: „I’m not a king! I’m a naval officer. That’s all I know. I’m not a king!“) In diesem Sinne ist der König innen tief und außen hoch.

Dies ist auch die klassische Ausgangssituation des Schülers: Er muss nach außen seinen Status behaupten, innerlich aber ist er unsicher und hat mit all den üblichen Ängsten zu kämpfen, die Heranwachsende plagen. (Und die – wie wir dann später wissen- auch im Erwachsenenalter nicht verschwinden). Auch der Schüler ist innen tief und außen hoch.

Der König misstraut zunächst seinem Lehrer und dessen Methoden. Er hält es beispielsweise für albern und unsinnig zu klassischer Musik, die ihm über Kopfhörer vorgespielt wird, einen Text von Schiller zu sprechen. Seine Zweifel an der Kompetenz des Lehrers haben zwei Gründe:
1. Die Methoden des Lehrers sind ihm fremd.
2. Da er – wie jeder Mensch – mal eine schulische Ausbildung genossen hat, glaubt er zu wissen, „wie man am besten lernt“. Er gleicht die neue pädagogische Erfahrung mit der bereits bekannten ab und stellt große Abweichungen fest. Da jeder Mensch das Vertraute dem Fremden (zunächst) vorzieht, lehnt er Lionels Methoden ab. Letztendlich hat er Angst zu versagen, bzw. sich lächerlich zu machen. Um sich aber diese Angst vor dem Versagen nicht eingestehen zu müssen, ist es notwendig, sich selbst einzureden, dass Lionels Methoden totaler Unsinn sind. Er muss sich quasi selbst überzeugen, dass sein Lehrer inkompetent ist.

Der Schüler macht genau dasselbe. Er befürchtet immer den Statusverlust. Daher ist es immer das naheliegendste Mittel für den Schüler, die Kompetenz des Lehrers in Frage zu stellen, wenn etwas nicht sofort zum Erfolg führt oder wenn der eigene Status bedroht ist. Auf diese Weise versucht der Schüler einen Statusverlust zu vermeiden.

Deshalb ist es so wichtig, den Schüler mit der „Statuswippe“ nach oben zu schicken: Zunächst muss der Schüler im Status steigen, damit er offen sein kann für das, was er lernen soll und was eventuell Irritationen mit sich bringen wird. Je tiefer ein Schüler nach innen ist, desto mehr äußere Sicherheit und Geborgenheit muss ihm seitens der Lehrkraft gegeben werden, damit er innerlich im Status steigt und von der „Aufgabe“ befreit ist, sich um seinen Status zu sorgen.

Innerhalb der eigenen Lerngruppe ist es für den Schüler fast immer mit eigenem Statusgewinn verbunden, den Status des Lehrers herabzusetzen. Den Status des „Ranghöchsten“ in der Gruppe (des Lehrers) bewusst herabzusetzen ist immer das sicherste Mittel, den eigenen Status massiv zu erhöhen und Ansehen zu gewinnen. Deswegen ist es so wahnsinnig attraktiv für -um Status bemühte- Schüler, dem Lehrer offen zu widersprechen.

Innerhalb einer Hierarchie, die auf gesellschaftlich definiertem Status beruht, ist es für den Schüler sehr leicht, den Status des Lehrers herabzusetzen. Er wird in unseren Zeiten von der Öffentlichkeit geradezu ermutigt, den gesellschaftlich definierten Hochstatus des Lehrers anzuzweifeln. Darin wird er nicht selten auch von seinen Eltern noch unterstützt. Denn auch die Eltern sind innen tief und außen hoch, wenn es um das Weiterkommen ihrer Kinder in der Schule geht. Es herrscht die immer währende Angst, dass das eigene Kind nicht erfolgreich genug ist und im zukünftigen Kampf um Jobs und Lebensglück in irgendeiner Weise benachteiligt werden könnte. Deshalb tendieren auch die Eltern oft dazu, den Lehrern die „Schuld zu geben“, statt sich wirklich mit den Möglichkeiten des Kindes ernsthaft auseinanderzusetzen. Eltern wollen im Zweifel nur, dass ihr Kind „auf’s Gymnasium kommt“, egal, ob das im Einzelfall und vor allem auf die Zielsetzung „Lebensglück erlangen“ bezogen, überhaupt sinnvoll ist, oder nicht.

Der Lehrende steht also grundsätzlich mehr oder weniger „unter Beschuss“. Sein Urteil und seine Fähigkeiten werden in Konfliktsituationen schnell in Zweifel gezogen – so wie auch der zukünftige König George an den Methoden des Schauspielers Lionel Logue zweifelt.

Wird ein Schüler mit Unterrichtsmethoden konfrontiert, die ihn selbst als Person fordern und die mit seinem Bild nicht übereinstimmen, wehrt er sich. Lehrer müssen auf diese Abwehr gefasst sein, sie als „normal“ betrachten und mit einer inneren Hochstatushaltung darauf reagieren (innen hoch, außen tief). Auf keinen Fall darf sich der Lehrer in einer solchen Situation rechtfertigen. Wer sich erklärt, ist schwach. Es erscheint dann so, als habe der Lehrer es nötig sich zu verteidigen. (Siehe hierzu auch: „Frau Müller muss weg“, Lutz Hübner: Eine Lehrerin wird angegriffen von aufgebrachten Eltern, die schlechte Noten ihrer Kinder befürchten. Frau Müller verbittet es sich, über ihre pädagogischen Fähigkeiten zu diskutieren.)

Im Folgenden möchte ich beispielhaft einige Szenen aus dem Film „The King’s speech“ unter Status-Aspekten analysieren, da sie höchst aufschlussreich sind im Hinblick auf pädagogische Prozesse – und auf soziale Interaktion im Allgemeinen.

Status-Analyse von ausgewählten Film-Szenen „The king’s speech“

Szene 1: Albert, Sohn des britischen Königs George V., steht mit seiner Frau am Fuß einer Treppe und wartet auf das Zeichen für seinen Auftritt: Er soll in einem Stadion vor tausenden von Menschen eine Eröffnungsansprache halten, die live im Radio übertragen werden soll. Die Aufnahme-Räumlichkeiten des berühmtesten britischen Senders BBC werden abwechselnd gegen geschnitten, so dass für den Zuschauer folgende Informationen offenbar werden:

Albert, der zwar einen hohen gesellschaftlichen Status innehat, fürchtet sich ganz offensichtlich vor diesem öffentlichen Auftritt. Dies wird an seinem Gesichtsausdruck und seiner Körperhaltung deutlich, die dem Zuschauer bereits eine beklemmende Atmosphäre vermitteln. Gleichzeitig wird dem Zuschauer durch die gegengeschnittenen präzisen Nahaufnahmen der BBC-Mikrophone und der nervösen Mitarbeiter in den Aufnahme-Räumlichkeiten der BBC klar, dass diese Rede aufgenommen und im ganzen Land ausgestrahlt werden soll. Sowohl bei Albert als auch bei den BBC Mitarbeitern wird die hohe Anspannung sichtbar, die diese Situation bei allen Beteiligten auslöst. Es ist vollkommen klar: Hier geht es um etwas und alle befinden sich in ihren gesellschaftlich definierten Rollen, die enormen Druck erzeugen.

Durch die detaillierte Kameraführung in den Räumlichkeiten des BBC-Senders und den Gegenschnitt auf den wartenden König am Fuße der Treppe wird die Konstellation des Filmes (und des im Film erzählten pädagogischen Prozesses) symbolhaft vorgestellt:

Auf der einen Seite das Institutionelle, das System mit all seinen hierarchisch festgelegten Positionen und den daraus abgeleiteten Handlungsanforderungen und auf der anderen Seite der individuelle Mensch, der sich der Rolle, die ihm das System zuweist, nicht gewachsen fühlt bzw. sich davor fürchtet.

Dies ist die klassische Ausgangssituation jedes pädagogischen Prozesses: Wir haben den Menschen, der auf seine Rolle in der Gesellschaft vorbereitet werden soll. Das System stellt Anforderungen an das Individuum, die auf der einen Seite schematisch und einengend und dadurch auf der anderen Seite bedrohlich auf das Individuum wirken, da sie viele Aspekte der individuellen Persönlichkeit nicht berücksichtigen und nur das reibungslose Funktionieren innerhalb des Systems zum Ziel haben. Diese Ausgangssituation steht einem fruchtbaren Bildungsprozess komplett entgegen. Und das ist im Übrigen auch an unseren Schulen nicht anders.

Szene 2: Albert wird von einem Arzt beraten, der seine Schwäche, nämlich das Stottern beseitigen soll. Der Arzt empfiehlt Albert als Mittel gegen das Stottern das Rauchen. Damit wird der gesellschaftlich-definierte Status des Arztes als medizinischer Experte dekonstruiert und demontiert: Nur, weil jemand (gesellschaftlich definiert) Arzt ist, ist damit noch lange nicht bewiesen, dass er auch die entsprechenden Fähigkeiten besitzt. Durch diese kleine Szene deutet der Film bereits an, was im weiteren Verlauf vertieft wird, dass nämlich gesellschaftlich definierter Status in keinster Weise Rückschlüsse auf die tatsächlichen Kompetenzen zulässt, sondern wir mit einem gesellschaftlich definierten Status nur gewisse, spezifische Kompetenzen assoziieren.

Der Film stellt in dieser Szene den Umstand, dass wir nur zu bereit sind, allein dem gesellschaftlich definierten Status Vertrauen zu schenken, mit einem Augenzwinkern dar: Auch Albert glaubt dem Arzt, obwohl sein Menschenverstand ihm eigentlich sagen müsste, dass diese „medizinische“ Beratung abstrus ist. Auch Lionel Logue vertraut Albert zunächst nur aufgrund seines angeblichen gesellschaftlichen Status: Er hält ihn für einen Doktor.

In der folgenden Szene sehen wir Albert mit seiner Frau privat, das heißt in ihrem jeweiligen natürlichen Status. Im Gegensatz zu beruflichen oder gesellschaftlichen Situationen, in denen alle beteiligten Personen um ihren Status kämpfen, ist dies eine vertrauliche Situation zwischen zwei Menschen, die sich sehr nahe stehen. Statuskämpfe erübrigen sich hier – wie auch unter sehr guten Freunden. Beide sind stets darum bemüht, Statusunterschiede zwischen sich auszugleichen. Alberts Frau wirkt im Film teilweise stärker als Albert. Dementsprechend sehen wir häufig, wie sie versucht, seinen Status zu heben, indem sie ihn aufbaut und tröstet.

Szene 3: Wir sehen eine Kutsche durch neblige Straßen fahren, anschließend die zukünftige Queen in einem klapprigen, engen Pater Noster nach oben fahren. Es handelt sich um ein altes, herunter gekommenes Haus, das definitiv nicht der sonstigen Umgebung der Queen entspricht. In einer Art Vorzimmer wartet die Queen und hört nach ihrem Klingeln eine Stimme: „I’m just in the loo!“ Die gesamte Szenerie entspricht dem theatralen Setting: „Das Requisit als Gegner“: Der klapprige Fahrstuhl beispielsweise, der große Chancen bietet, den Status der Person, die versucht, mit ihm zurecht zu kommen, herabzusetzen. (Das berühmteste Beispiel für „das Requisit als Gegner“ ist der Liegestuhl, der sich nicht so ohne weiteres aufbauen lässt und die Person, die sich daran abarbeitet, zwangsläufig in den Tiefstatus versetzt).

Der Beamer am Beginn von Veranstaltungen ist auch ein solcher „Gegner“: Er funktioniert nicht und führt zu immer neuen beflissenen Versuchen, mit der Technik klar zu kommen. Oft steht eine Traube von hilfsbereiten Männern um das Gerät herum und versucht kundig auszusehen, weil ja „eigentlich alles ganz einfach ist“.

Auch setzt ein Gegenstand, der zum Gegner wird, den Status der beteiligten Personen herab.
Interessant ist es in solchen Situationen, zu beobachten, ob es der betreffenden Person gelingt, aus einer solchen Lage im Hochstatus heraus zu kommen.

Hier sei auf den Film „Der große Diktator“ von Charlie Chaplin verwiesen: Beim Staatsbesuch wird „Napaloni“ (Mussolini) von „Hinkel“ (Hitler) aufgefordert, auf einem viel zu kleinen Stuhl Platz zu nehmen, auf den Napaloni dann erwartungsgemäß herunter plumpst – und somit in den Tiefstatus gebracht wird. Napaloni aber weigert sich, diese Herabsetzung anzunehmen und setzt sich anschließend einfach auf Hinkels Schreibtisch, was wiederum letzteren im Status herabsetzt (Napaloni dringt in Hinkels Raum ein, indem er den Schreibtisch respektlos als Sitzmöbel missbraucht).

Alberts Frau geht mit den Gegebenheiten des Raumes ganz natürlich und geduldig um (wird nicht hektisch) und bewahrt somit ebenfalls ihren Hochstatus.

Die Queen verheimlicht zunächst ihren gesellschaftlich definierten Status und gibt sich als Mrs. Johnson aus. Der Zuschauer lernt den selbstbewussten, älteren Schauspieler Lionel Logue kennen, der der Queen im Hochstatus gegenübertritt.

Der Hochstatus von Lionel Logue ist hier zunächst rollenspezifisch (er gibt sich als „Doktor“ aus und glaubt, eine „normale Kundin“ vor sich zu haben), dann aber erklärt die vermeintliche Mrs. Johnson, dass nicht sie seine Behandlung wünscht, sondern der „Duke of Yorke“.

Daraufhin geht Lionel Logue augenblicklich in den gesellschaftlichen Tiefstatus, da er erkennt, wen er vor sich hat. Er spricht die Queen mit ihrem Titel an „Your Royal Highness“.

Als es dann aber um die berufliche Verhandlung geht, fordert er – entgegen dem Vorschlag der Queen – , dass der Duke of Yorke zu ihm kommen muss. Dies ist eine eindeutige Hochstatus-Geste: Der Patient muss zum Arzt gehen, nicht umgekehrt.

Darüberhinaus spielt Lionel Logue bereits hier auf eine wichtige Grundvoraussetzung gelungener, pädagogischer Prozesse an: Wir können niemandem etwas „beibringen“, wenn dieser jemand sich nicht selbst für einen Lernprozess öffnet.

Die Hauptaufgabe des Lehrers besteht also immer zunächst einmal darin, ein Setting zu erschaffen, in dem der Schüler sich öffnet und Lust hat zu lernen. (Obwohl diese Grundvoraussetzung allseits bekannt ist, wird sie in Schulen meistens missachtet. Dort wird Wissen oft nur kurzfristig für das Erreichen einer Note oder einer Punktzahl eingetrichtert – und kurz danach vergessen. Ob ein Schüler wirklich für sich etwas gelernt hat im Sinne eines Zuwachses an persönlicher Erkenntnis, ist in den Hintergrund geraten, weil es sehr häufig nur um die „Erfüllung der Vorgaben“ geht. Extrinsische Lernmotivation (eine gute Note erreichen) hat die intrinsische Motivation des kleinen Kindes (ich will sprechen, laufen, mitmachen können) abgelöst. Gute Lehrer wie Lionel Logue wissen das natürlich und leiden unter dem Entfremdungseffekt der Institution/Schule).

Szene 4: Lionel Logue beim Abendessen mit seiner Familie. Auch privat handelt er nach dem Prinzip „innen hoch – außen tief“, er ist verspielt und albern und trotzdem streng.

Szene 5: Albert wiederum mit seiner Familie, Albert erzählt seinen Töchtern ein wenig stotternd ein Märchen und diese akzeptieren ihn so, wie er ist, als Mensch und als ihren Vater. Die Töchter wirken sehr souverän und ihm gegenüber im Hochstatus. Albert ist in der Familie ebenfalls „innen hoch – außen tief“. Er muss hier keine aufgesetzte Rolle spielen.

Szene 6: Lionel Logue im Tiefstatus bei einem Vorsprechen als arbeitsloser Schauspieler in einer demütigenden „Casting-Situation“, gesellschaftlich definierter Tiefstatus, sie „suchen einen Jüngeren“, diese Szene zeigt Lionel in einer gesellschaftlich definierten Tiefstatus-Situation. Obwohl er überall sonst souveräner Statuswechsler ist, gelingt es ihm ausgerechnet in seiner beruflichen Situation nicht. Er hat hier den „Geruch des Verlierers“.

Diese Filmsituation entspricht zahlreichen Verlierer-Situationen im Alltag: Dort, wo klar ausformulierte Standards der Maßstab der Bewertung sind, sinken Menschen in dem Maße im Status, in dem sie von den ausformulierten Standards abweichen.

Sie erscheinen defizitär – aber nur in Bezug auf die geltende Norm. In einem solchen Kontext können die zahlreichen Stärken des Lionel Logue nicht wahrgenommen werden. Sie sind vorhanden, können aber nicht sichtbar werden.

Wenn wir im Berufsalltag jemanden suchen, der ein Auto reparieren kann, ist es sinnvoll, bei der Suche nach dieser Person entsprechende Maßstäbe auszuformulieren und die Bewerber nach diesen Kriterien zu bewerten – mit dem Ziel, jemanden zu finden, der tatsächlich Autos reparieren kann.

Im ganzen Feld der (kulturellen) Bildung und in Bildungsprozessen überhaupt ist das Ausformulieren von Standards jedoch fragwürdig, weil es zu einer Defizit-Orientierung führt. Dabei müsste es hier darum gehen, vorhandenes Potenzial zu entdecken, zu bestärken, sichtbar zu machen und beim Kind eine intrinsische Motivation wach zu rufen, die eigenen Stärken weiter zu verfolgen und auszubauen.

Unter Status-Aspekten ist diese Szene mit Lionel Logue beim Vorsprechen darüber hinaus interessant, wenn man sich fragt: Wie könnte diese Situation (für Lionel) gewinnbringender laufen? (Abgesehen von den eingeforderten Standards.)

Wie kann der eigene Status dem Gegenüber als „hoch“ und begehrenswert erscheinen? Wie vermeiden wir den „Geruch des Verlierers“, das heißt: Eine Tiefstaus-Aura der Bedürftigkeit? (Beispiel: Schauspieler-Casting und Bewerbungsgespräch-Situationen: Diese lassen sich natürlich unter Status-Aspekten gewinnbringender trainieren, wobei die Frage bleibt: Inwieweit bin ich mir hier bewusst, dass ich ein Spiel spiele und wie sehr gelingt es mir, mich dem Druck des Institutionellen oder des herrschenden, symbolischen Kapitals innerlich zu entziehen?)

Szene 7: Die erste Unterrichtsstunde: Albert und seine Frau im klapprigen Pater Noster auf dem Weg zu Lionel Logue, erste Begegnung zwischen Lionel Logue und Albert. Albert glaubt, sie besuchten einen „Doktor“.

Im Wartezimmer werden sie von einem leicht stotternden Jungen empfangen, der offensichtlich auch Patient von Lionel Logue ist. Albert ist befremdet von der Umgebung und den Methoden des angeblichen Doktors.

Logue begegnet ihm im natürlichen Hochstatus, was seine Kompetenz angeht, das heißt er verweigert rollenspezifisches Statusverhalten (er beharrt darauf, Albert mit „Bertie“ anzusprechen) und bestimmt den Raum, die Zeit und die Regeln.

Andererseits behandelt er Albert wertschätzend im äußeren Tiefstatus (innen hoch – außen tief). Lionel macht keine Abstriche bei seinen Methoden (Schallplatten-Aufnahme).

Lionel Logue verweigert hier ganz bewusst die gesellschaftlich definierten Statusspiele und spielt Albert hier bewusst nicht als zukünftigen König sondern als Menschen an.

Er ignoriert den Hochstatus, der Albert qua gesellschaftlichem Status zukommt – aber dafür versucht er dessen persönlichen innerlichen Tiefstatus zu heben. Lionel Logue zeigt Respekt und Wertschätzung für den Menschen Albert (Bertie) – nicht für den König George.

Dennoch verliert Lionel bei diesem ersten Treffen – wie es fast immer geschieht, wenn gelungene pädagogische Prozesse ihren Anfang nehmen:
Denn diese brauchen einen langen Atem.

Der Charismatiker (innen hoch – außen tief) agiert auf ein langfristigeres Ziel bezogen und handelt nach Prinzipien – nicht nach ausformulierten Standards.

Innen hoch-außen tief legt den Prozess nachhaltiger an und verliert durchaus mal eine einzelne „Schlacht“ – nicht aber den gesamten „Krieg“. (Wenn man denn pädagogische Prozesse als „Krieg“ bezeichnen möchte, was ich hier nur zur Veranschaulichung tue, nicht um einen ernsthaften Vergleich zu machen).

Albert lehnt die Behandlung ab – und hier haben wir eine Parallele zu ähnlichen Erstbegegnungen in allen pädagogischen Prozessen.

Zunächst stoßen wir meistens auf Skepsis und Ablehnung. Das Vertrauen muss erst einmal gewonnen – eine Bindung aufgebaut werden. Dies kann nur geschehen über den Aufbau einer Beziehungsebene auf Augenhöhe (innen hoch – außen tief).

Ein schönes Bild für diesen Prozess des Annäherns mit all seinen anfänglichen Teil-Niederlagen finden wir in der „Der kleine Prinz“ bei der Zähmung des Fuchses (auch, wenn dieses Beispiel inzwischen leider eine Inflation erlitten hat. Es ist deshalb aber nicht weniger weise).

(Weitere Szenen-Analysen befinden sich im Online-Material zu meiner nächsten Publikation zum Thema Status im Juli 2016)