Abschlussbericht für die Theaterproduktion „Die Matrix der Demokratie“ am Heimathafen Neukölln

Im vergangenen Schuljahr 2016/17 beschäftigten sich die Jugendlichen des Jugendclubs am Heimathafen, die ACTIVE PLAYER NK, mit dem Thema Demokratie und entwickelten dazu eine Theater-Eigenproduktion, die am 15. Juni im Heimathafen ihre Premiere feierte. Es folgten weitere zehn Vorstellungen im Juni und Juli, die sowohl vom Publikum als auch von der Presse sehr positiv aufgenommen wurden und im Rahmen des ersten ACT-Festivals am 6. Juli ihren Abschluss fanden.

Die Probenarbeit begann Anfang September 2016. Die Gruppe setzte sich aus Jugendlichen mit sehr diversen Hintergründen zusammen. Den Kern der Gruppe bilden nach wie vor ehemalige Schüler_innen von mir noch aus Schulzeiten in Neukölln und Jugendliche aus deren Umfeld. Sie sind überwiegend arabischer und türkischer Herkunft und leben in direkter Nähe zum Heimathafen im Kiez. Zunehmend sind aber auch Jugendliche aus anderen Kontexten dazu gekommen, u.a. auch »weiße« Jugendliche mit bürgerlich-herkunftsdeutschen Hintergründen, die Berliner Gymnasien in anderen Stadtteilen besuchen. Darüber hinaus nahmen in diesem Jahr auch vier jugendliche Geflüchtete aus Syrien an dem Projekt Teil, von denen zwei bis zum Schluss dabei blieben und die Produktion mit ihren Themen maßgeblich mit gestalteten.

Die Alterspanne der Jugendlichen ist ebenfalls sehr weit, die jüngsten sind 14, die ältesten Spieler_innen 25 Jahre alt.

Die sehr ausgeprägte Diversität der Gruppe stellte sich auch in diesem Jahr als Glücksfall heraus, da durch das bewusst partizipative Konzept (www.act-berlin.de) sehr unterschiedliche Perspektiven auf das Thema sichtbar und diese von allen Teilnehmenden lebhaft diskutiert und reflektiert wurden.

Maßgeblich beim konzeptionellen Ansatz, nach dem wir arbeiten, ist das von mir entwickelte Prinzip der demokratischen Führung, nach dem die Spieler_innen schrittweise und sehr konkret ermächtigt werden, selbst zu führen und im Prozess die Verantwortung zu übernehmen. Dies führte in diesem Jahr dazu, dass die inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema »Demokratie« sich auch immer wieder im konkreten Prozess spiegelte: Die Spieler_innen erprobten demokratische Verfahren und erlebten deren Grenzen bzw. die Herausforderungen, die damit einhergehen quasi »am eigenen Leibe«. Diese persönlichen Erfahrungen im demokratischen Prozess gingen als Teil der Inszenierung in die Produktion mit ein.

Entscheidend für das Gelingen dieser Produktion war auch eine andere Komponente des konzeptionellen Ansatzes: Die wertungsfreie Haltung der Spielleitung. Wenn Jugendliche spüren, was die Spielleitung für »richtig« hält, entsteht eine »Innovations-Blockade«: Die einen versuchen, »brav« das abzubilden, was die Spielleitung erwartet, während die anderen stumm blockieren und ihre Ansichten zurückhalten. Dies war besonders in diesem Jahr deutlich zu spüren, als es in Bezug auf die Trump-Wahl und das Referendum in der Türkei sehr unterschiedliche Haltungen in der Gruppe gab, die erst dann offen geäußert wurden, als klar wurde, dass ich als Spielleitung auch »Trump-Befürworter_innen« selbstverständlich denselben Raum und dieselbe Anerkennung zu Teil werden lasse, wie den Trump-Gegner_innen. (Ich sage nicht, dass das einfach ist, aber ohne diese bewusste Offenheit allen Positionen gegenüber wäre das demokratische Prinzip, welches es ja gerade zu untersuchen galt, bereits im Keim erstickt worden.)

Demokratie kann eben nicht verordnet werden, sie muss in schmerzhaften und auch langwierigen, individuell geführten Prozess-Phasen SELBST ERFAHREN werden. Dabei ist die wichtigste Gelingens-Koordinate die Diversität der Gruppe selbst. Denn wenn ich direkt erlebe und höre, dass es 23 sehr verschiedene und auch nachvollziehbare Meinungen zu ein und demselben Thema gibt, komme ich selbst auf die Idee, dass meine eigene Meinung unter Umständen modifizierbar ist…

Diese Bereitschaft, die eigene Position zu verlassen und andere Perspektiven ebenfalls für denkbar und möglich zu halten, war der Beginn einer ernsthaften Auseinandersetzung damit, was Demokratie eigentlich ist – wenn sie gelingt. Diese Erkenntnis führte in der Gruppe in einem zweiten Schritt dazu, dass sie die derzeit existierende Demokratie in Deutschland kritisch hinterfragten:

Wo können wir in Deutschland demokratisch mitgestalten und wo können wir es nicht – und wo tun wir es aus Bequemlichkeit nicht? Diese Fragen wurden immer wiederkehrendes Motiv der Inszenierung, welches sich auch im – von der Gruppe selbst entwickelten – Bühnenbild niederschlug: Ein herunter gekommenes Wohnzimmer im 50er-Jahre-Stil als Sinnbild für eine Demokratie, die aus der Sicht der Jugendlichen »vor langer Zeit« geschaffen und in vielem aber nicht mehr zeitgemäß erscheint. Wo sitzen wir einfach nur rum und nehmen das alte »Demokratie-Wohnzimmer« für so selbstverständlich, dass wir die Grundwerte der Demokratie durch unsere Ignoranz aufs Spiel setzen und wo werden wir konkret an demokratischem Handeln gehindert? Wo behauptet unsere Gesellschaft »demokratisch« zu sein, ist es aber nicht?

Die Jugendlichen räumen am Ende die alten 50er-Jahre-Möbel zu einem großen Sperrmüllberg beiseite an den Rand, um den klaren, freien Raum zu haben, eine erneuerte Demokratie zu gestalten, die auf dem Los-Prinzip und der daraus folgenden Erkenntnis basiert: Jeder Mensch muss durch Bildung ganz konkret und praktisch ermächtigt werden, selbst zu führen und Verantwortung zu übernehmen, mit allen Herausforderungen und Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Denn erst dann finden verschiedenste Perspektiven ihren Weg in eine konstruktive Gestaltung einer wirklich demokratischen Gesellschaft.

Maike Plath, 14. Juli 2017